Das BFSG kommt

Die Kurzantwort lautet: Nein.
Der European Accessibility Act (EAA), bzw. seine nationalstaatliche Umsetzung im Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG), verpflichtet Betreiber von Websites, bestimmte Standards für Barrierefreiheit zu erfüllen. Einige Software-Anbieter nutzen die Angst vor drohenden Abmahnungen, um sogenannte Accessibility-Overlays zu verkaufen, die oft mit einer einzelnen Zeile Code in die eigene Website eingebunden werden können.
Doch Vorsicht: Diese Tools sind selbst oft nicht barrierefrei, zerschießen die Website und schaden daher in den allermeisten Fällen mehr als sie nutzen! Im Web gilt tatsächlich, dass mehr nicht immer mehr hilft: Falsch eingebundene oder eingesetzte Hilfsmittel für die Barrierefreiheit können diese aktiv verringern und die Seite für eingeschränkte Nutzer*innen zum Teil sogar unzugänglich machen. In vielen Fällen ist nichts zu tun tatsächlich besser, als ein Accessibility-Widget einzubinden.
Accessibility-Overlays garantieren nicht, dass eine Website BFSG-konform ist.
Problem #1: Betroffene haben ihre eigenen Bedienhilfen
Wer mit irgendeiner Einschränkung lebt, hat längst Mittel und Wege gefunden, um damit im Alltag klar zu kommen. Sie nutzen eigene Soft- und Hardware, um das Internet nutzen zu können und Accessibility-Overlays können diese Nutzungsmuster stören
Problem #2: Kein Tool kennt deine Inhalte
Die Kommunikationsziele deiner Website kann kein noch so ausgereiftes Tool erraten. Nein, auch nicht mit KI. Die Seitenstruktur und Navigation, die User-Lenkung, die Gliederung der einzelnen Unterseiten, die handwerkliche Aufbereitung der Inhalte … nichts davon kann oder sollte ein Tool im Nachhinein verändern. Barrierefreiheit beginnt mit dem Seitenkonzept und muss vor allem auch in der alltäglichen redaktionellen Arbeit an der Seite verankert sein.
Problem #3: Moderne Browser, Betriebssysteme und Webtechnologien haben eigene Accessibility-Features
Du brauchst kein Javascript-Widget, um eine Website größer zu zoomen oder Ähnliches, das kann dein Browser von Haus aus. Die entsprechenden Nutzer*innen haben die notwendigen Einstellungen längst aktiviert und können souverän mit den Systemeigenen Hilfen umgehen. Tatsächlich ist der Königsweg zur Barrierefreiheit die saubere, standardkonforme Benutzung von semantischem HTML – Mehraufwand entsteht erst, wenn Elemente darüber hinaus gehen oder zweckentfremdet werden.
Problem #4: Accessibility-Overlays sind oft selbst nicht barrierefrei
Die Einbindung der Funktionalität geschieht über Javascript, das Overlay ist also nicht Teil der eigentlichen Seitenstruktur und für User*innen nicht unbedingt gut erkenntlich oder erreichbar und oft schwer, wenn denn überhaupt zu bedienen.
Problem #5: Webtechnologien und -inhalte sind divers
Vor allem komponentenbasierte Frontend-Frameworks wie React, Vue oder Svelte können z. B. Inhalte einzelner Komponenten verändern, ohne die Seite neu zu laden – worauf ein externes Overlay nicht reagieren kann, weil es, wie oben bereits erwähnt, außerhalb der eigentlichen Seitenstruktur angesiedelt ist. Das Gleiche gilt für Veränderungen an der Seite, die über gewöhnliches Javascript ausgeführt werden. Bei der Komplexität und Diversität moderner Webtechnologien ist es einfach unmöglich, mit einem Werkzeug jede Website abdecken zu können.
Dazu kommt: Inhalte in PDF, HTML Canvas, SVG, iframes oder mediale Inhalte wie Videos und Audiodateien können von Accessibility-Widgets nicht angepasst werden.
Zusammenfassung
Accessibility-Overlays bringen meistens keinen Mehrwert für die Barrierefreiheit einer Seite und machen sie in vielen Fällen sogar schlechter. Menschen mit Einschränkungen sind kompetente Anwender*innen von Web- und Hilfstechnologien und brauchen keine zusätzlichen Tools, die sich zwischen sie und ihre Bedienhilfen schalten und ihre User Experience stören. Barrierefreiheitsstandards kann man nur mit einer konzeptionell durchdachten, technisch sauberen und redaktionell gut und mit einem Auge für Accessibility gepflegten Seite erreichen.